Vegan wie Du und ich: Jens #15
Nachdem bis jetzt die Männer in meiner veganen Interviewreihe leider ein wenig unterrepräsentiert waren, freue ich mich umso mehr, dass sich diesmal Jens bereiterklärt hat, meine Fragen zu beantworten.
Seit wann lebst Du vegan und was war der Auslöser dafür? Gab es einen Schlüsselmoment oder war es eine Vielzahl von Gründen, die Dich zu diesem Entschluss bewegt haben?
Der Schritt zum Vollzeit-Veganer im August 2013 hat eine zweijährige Vorgeschichte. Man könnte sie als Vorbereitungszeit bezeichnen und sie begann mit einem Katzenvideo auf Youtube im Oktober 2010. Dazu muss man sagen, dass ich seit 2004 in einer WG zusammen mit zwei Katzen lebe. Das Video selbst war allerdings nicht der Auslöser, sondern ein Video, das danach vorgeschlagen wurde. Es trug den Titel „Tierquälerei in China – da dürfen Sie nicht wegschauen!“ – oder so ähnlich. Schauplatz war ein dörflich anmutender Marktplatz oder Hof im fernen China und zeigte, wie dort Waschbären mit einer schier unfassbaren Grausamkeit für die „Pelzernte“ ihr Leben lassen mussten. Dies erfolgte zudem mit einer Gleichgültigkeit und Selbstverständlichkeit, als würde man Kartoffeln schälen.
Dieses Video hat bei mir einen sprichwörtlichen Schalter im Kopf umgelegt, so dass ich mich gleich danach bei der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, die mir aus einigen TV- und Presseberichten bekannt war, als Ehrenamtlicher angemeldet habe. Ein paar Monate später, im März/April 2011 wurde dann die Vier Pfoten Regionalgruppe Leipzig ins Leben gerufen, deren Leitung ich übernahm. Unsere Gruppe bestand am Anfang aus fünf Mitgliedern und wir begannen damit einige Aktionen in der Leipziger City durchzuführen und waren auch auf ein paar Strassenfesten mit eigenen Ständen vertreten. In kurzer Zeit wurden wir sogar die aktivste Regionalgruppe Deutschlands und auch unsere Mitgliederzahl wuchs beständig.
Im September 2012 musste ich leider meinen Fokus wieder verstärkt auf das Berufliche ausrichten und gab die Leitung der Gruppe schweren Herzens auf. Mittlerweile hat sie sich aufgelöst und die meisten der ehemaligen Mitglieder sind zu Animal Rights Watch gewechselt.
In dieser Zeit habe ich mich natürlich auch intensiv mit Tierschutz, Tierrechten und der veganen Lebensweise beschäftigt. Ich wurde “Teilzeit-Veganer”. Es begann ganz unspektakulär damit, dass ich zunächst Sojamilch für meinen Kaffee verwendete, dann Tofu ausprobierte, mir die ersten veganen Kochbücher anschaffte und einige Gerichte daraus nachkochte, die ich bislang als Nicht-Veganer gerne gegessen habe. Chili Con Carne, Gulasch, Pizza, Spaghetti Bolognese / Carbonara, Nasi Goreng, Burger, Döner. Und sie schmeckten mir ausgezeichnet! Etwas anders, aber trotzdem seeehr lecker! Im August 2013 war es dann soweit. Ich wagte den Schritt zum Vollzeit-Veganer. Und ich vermisse absolut nichts! Es gab bislang nicht einen einzigen Tag, an dem ich eine unkontrollierte Lust auf Fleisch und sonstige tierische Produkte verspürte.
Geholfen haben mir bei der rund zweijährigen mentalen Vorbereitungs- und Erprobungszeit auch Filme wie “Earthlings”, (Hör-)Bücher wie “Tiere essen” (beide auf Youtube) und auch die mittlerweile gut sortierte vegane Kochliteratur (z.B. Attila Hildmann, La Veganista, Roland Rauter und McVeg)
Hast du durch die Umstellung eine Veränderung in Dir bemerkt? Auf welchen Ebenen hat sich diese abgespielt?
In meiner Zeit als Teilzeit-Veganer begann ich mich wieder bewusster zu ernähren. So wie zwischen meinem 20. und 30. Lebensjahr, wo ich sehr viel Sport betrieben, mich deswegen auch mit dem Thema Ernährung intensiv beschäftigt habe. Frisches Obst und Gemüse wurden wieder fester Bestandteil meiner täglichen Ernährung und bilden wieder ihre tragenden Säulen.
Ich bekam auch wieder Lust mich regelmäßig sportlich zu betätigen. Seither habe ich rund 12 kg überflüssiges Körpergewicht verloren. Obwohl ich von der Menge her genauso viel gegessen habe wie zuvor. Ich habe mich also nicht mühsam runterhungern müssen, sondern es geschah einfach so nebenbei.
Interessant war es auch festzustellen, dass ein üppiges deftiges veganes Mahl den Körper bei weitem nicht so belastet wie eine vergleichbare herkömmliche Mahlzeit mit Fleisch. Keine Anzeichen von einsetzender überwältigender lähmender Trägheit und Müdigkeit nach dem Essen.
Wie hat Dein Umfeld auf Deine Umstellung reagiert?
Mein Freundes-/Bekannten- und Kollegenkreis reagierte eigentlich weitestgehend positiv auf meine Entscheidung. Ihnen seien nach eigenen Worten die Missstände durch die zunehmend mediale Präsenz des Verhältnisses von Mensch-Tier zwar bewusst, möchten aber auf ihre liebgewonnene Bratwurst, ihren Burger etc. nicht verzichten.
Interessant war bei den Gesprächen jedoch die Erkenntnis, wie effektiv die PR-Maschine der Agrar- und Fleischindustrie doch arbeitet, sich die Botschaften des bedenkenlosen Fleischkonsums über die Werbung und PR-Kampagnen in einer unkritischen Denk- und Handlungsweise der Konsumenten manifestiert hat, und die negativen Folgeerscheinungen des Konsums tierischer Produkte trotz zunehmend bekannter kritischer Berichte und Publikationen als hinnehmbar, nicht so schlimm und Einzelfälle abgetan werden. Vor allem die ökologischen Schäden einer intensiven globalen Massentierhaltung sind nach meiner Erfahrung weitestgehend unbekannt.
Wie sich auch zeigte ist das Bild eines typischen Veganers mit der Vorstellung eines an einer Möhre knabbernden Sonderlings weit verbreitet, welches ein anderes wäre, wenn sich die Betreffenden unkritischen Konsumenten etwas eingehender mit der veganen Küche beschäftigten. Sie wären überrascht von der Vielfalt. Wenn man allerdings Nicht-Veganern von veganem Chili oder Gulasch erzählt, erntet man oft verständnislose Blicke, weil sie gedanklich automatisch zwei Dinge zusammentun, die nicht per se zusammengehören. Als Veganer dürfe man offenbar keinesfalls Gerichte essen, die im Original-Rezept Fleisch als Zutat enthalten, dürfe dieses nicht ersetzen. Aber dieser Gedankengang ist falsch. Warum sollte man als Veganer komplett auf den Verzehr von Gerichten verzichten, nur weil sie im Original-Rezept Fleisch als Zutat enthalten? Es ist doch voll und ganz ausreichend, dieses durch nicht-tierische Produkte zu ersetzen. Wenn jemand keine Zwiebeln in seinem Döner mag, dann hört er doch deswegen nicht auf Döner zu essen, sondern er lässt sie einfach weg oder ersetzt sie durch was anderes. Und Veganer ersetzen Dönerfleisch einfach z.B. durch Seitan, um bei diesem Beispiel zu bleiben.
Hast du Tipps für alle Neulinge, die auch vegan leben wollen?
Lasst Euch Zeit! Soviel Zeit, wie ihr benötigt. Bei mir waren es zwei Jahre. Aber bleibt am Ball. Beschäftigt Euch mit dem Thema Massentierhaltung, dem Konsum tierischer Produkte. Lest z.B. „Tiere essen“, schaut „Earthlings“, besorgt Euch vegane Rezepte, aus Kochbüchern oder aus dem Internet und probiert die aus, die Euch gefallen.
Und geht bitte nicht von der Erwartung aus, die Gerichte würden wie das Original mit Fleisch schmecken. Sie schmecken anders, aber trotzdem lecker! So wie es ja auch zwischen Rind-, Schwein- und Hühnerfleisch und Fisch große geschmackliche Unterschiede gibt. Ersetzt schrittweise Eure gewohnten tierischen Produkte. Die „Geschmacksnerven“ benötigen auch eine gewisse Zeit, sich an die neuen, ungewohnten Geschmackserlebnissen zu gewöhnen. Und früher oder später kommt der Punkt, wo ihr sagt: Ich kann ja auch ganz ohne tierische Produkte! So war es bei mir.
Die relativ lange Vorbereitungszeit von zwei Jahren hatte für mich den Vorteil, dass ich mich so schrittweise an neue vegane Lebensmittel herantasten und gewöhnen konnte, bis sie irgendwann automatisch auf meinem Einkaufszettel standen und ich mir z.B. mittlerweile einen Kaffee ohne Vanille-Soja-Milch gar nicht mehr vorstellen kann. An dieser Stelle ein kleiner Tipp für alle, die sich vielleicht mit dem Gerinnungsproblem von Sojamilch in einigen Kaffeesorten herumplagen und es als störend empfinden: Die Milch flockt weniger stark aus, wenn man bereits vor dem Eingießen des Kaffees einen Teil der Sojamilch in die Tasse gibt und den Rest nachgießt, nachdem man den Kaffee eingeschenkt hat. Aber dieses Problem hat man nicht mit jeder Kaffeesorte.
Auch bei Kosmetik- und Haushaltsprodukten gibt es ja glücklicherweise mittlerweile gute vegane Alternativen, die nicht alle auf den ersten Blick als solche erkennbar sind, weil sie das Logo nicht tragen. Ich benutze alternative Produkte der Marken Alverde, Denkmit und Frosch.
Welche veganen Gerichte kochst Du regelmäßig? Kochst Du mit Kochbüchern oder eher “freestyle”?
Ich koche nach Rezepten, die ich zunächst nach Vorlage nachkoche und sie über die Zeit an meine persönlichen Geschmacksvorlieben anpasse. Ein bisschen mehr davon, etwas weniger hiervon, variiere Zutaten und Mengen. Als Quellen dienen mir Rezepte das Internet, wie z.B. Die Umsteiger – weg vom Fleisch oder Kochs vegan auf Youtube, und Bücher von z.B. Attila Hildmann, La Veganista oder Roland Rauter. Meine Favoriten wechseln von Zeit zu Zeit. Im Augenblick ist es Chili Sin Carne. Es waren aber auch schon Pizza, Gulasch, Thai Curry, Pasta, Burger, Döner und Kartoffelsalat ganz oben auf meiner Favoritenliste.
Was war Dein schönstes/seltsamstes/witzigstes Erlebnis in Bezug auf Deine vegane Ernährungs-/Lebensweise?
Sorry, Dominique. Da habe ich keine Anekdote zu erzählen!
Wenn Du jemanden vegan bekochen könntest, wer wäre diese Person (gewesen) und was würdest Du für sie kochen?
Eine bestimmte Person gibt es da nicht. Aber da ich ein begeisterter Anhänger des American Football und dem College-Team der Notre Dame Fighting Irish besonders zugetan bin, wäre es sicher eine interessante Herausforderung am Tag des Rivalry Games gegen die Michigan Wolverines das Team der Fighting Irish auf ganz amerikanische Art mit veganen Burgern zu verköstigen und sich danach entspannt das Spiel auf einem guten Platz in Höhe der Spielfeldmitte anzuschauen.
Du bist auf einer einsamen Insel gestrandet – welche 3 veganen Lebensmittel möchtest Du auf keinen Fall missen?
Das hängt ein bisschen davon ab, in welchen klimatischen Gefilden sich die Insel bei diesem Gedankenspiel befindet. Auf einer einsamen tropischen Insel würde ich auf veganes Eis in diversen Fruchtgeschmäckern nicht verzichten wollen. In der Nähe des Polarkreises wären es wohl Sojawürfel oder -geschnetzeltes, (vorgewürzte) Dosentomaten und Kideybohnen für ein heißes veganes Chili.
Gibt es irgendetwas, was Dir noch auf dem Herzen liegt und was Du den Lesern des Blogs, egal ob vegan, vegetarisch oder omnivor, mitteilen willst?
Ich freue mich, dass sich der veganen Lebensweise immer mehr und mehr Menschen anschließen, die Zahl derer beständig wächst, die Tiere nicht als anonyme leid- und schmerzresistente Rohstofflieferanten für Konsumprodukte betrachten. Mehr und mehr Menschen sich mit den Folgen ihres Konsums beschäftigen, das „System“ kritisch hinterfragen.
Ich würde mir wünschen, wenn sich auch mehr Menschen meiner Generation (40+), und vor allem auch mehr Männer, hierfür begeistern würden, die mit dem Fleischessen offenbar besonders männliche Attribute verbinden. Ich persönlich glaube aber nicht, dass man Essen in Kategorien wie besonders männlich oder weiblich unterteilen kann. Allenfalls in gut oder nicht gut, oder gesund und weniger gesund.
Ich bin guter Hoffnung, dass sich die vegane Lebensweise über die nächsten 10, 20 oder 30 Jahre so in der Gesellschaft etabliert hat, wie es die Bio-und Vegetarier-Bewegung getan haben. Es wird in Zukunft länderübergreifend ganz normal sein, vegane Produkte beim Discounter um die Ecke zu kaufen und Restaurants werden ihren Gästen ganz selbstverständlich diverse vegane Gerichte auf ihren Speisekarten anbieten.
Vielen Dank, Jens, dass Du auch bei meinem Interview mitgemacht und so ausführlich auf meine Fragen geantwortet hast! 🙂
Ich schreibe darüber, wie man sich gesund und lecker vegan ernährt, sein Leben und seine Gesundheit grüner gestalten und was man tun kann, um glücklicher zu werden. Ich würde mich freuen, wenn ich Dich mit meinen Beiträgen inspirieren kann!
Hurra, ein neues Interwiev, hab schon wieder sehnsüchtig drauf gewartet 😉
Es ist immer wieder toll, die ganz persönlichen erfahrungen jedes einzelnen zu lesen!!!
Danke an dieser Stelle, Jens…
und hoffentlich gibt es noch viele weitere Interwievs, Dominique 😉
Ich freu mich drauf!
Grüßle, Jessi
Ich fände es toll, wenn auch Langzeit-Veganer in den Interviews zu Wort kommen würden. Die meisten Personen in den Interviews hier ernähren sich noch gar nicht so lang vegan. Da fällt es einem natürlich leicht zu behaupten, man würde sich superfit und megatoll fühlen zsw. Die ersten eventuellen Probleme merkt man, wenn man jahrelang, oder eher jahrzehntelang vegan lebt. Denn da stellt sich oft heraus, dass der Ernährungsplan doch nicht soo super durchdacht war und nun gravierende Mangelerscheinungen o.Ä. auftreten. Deswegen wäre es super, wenn Menschen, die es wirklich geschafft haben, sich über einen langen Zeitraum hinweg vegan zu ernähren und dabei in bester Form zu bleiben, hier ihre Erfahrung teilen würden…
LG Anne.
Hallo Anne!
Danke für den Hinweis – ich hatte auch schon darüber nachgedacht, dass es auch sehr interessant wäre, ältere Personen und Langzeitveganer zu interviewen.
Versprechen kann ich da zwar erstmal nichts (in meinem Bekanntenkreis sind bis jetzt nur Leute, die zwischen 0 und 6 Jahren vegan leben), aber ich werde auf jeden Fall die Augen und Ohren offen halten!
VG, Dominique
Hallo Anne!
Die von Dir erwähnten Mangelerscheinungen können bei einer unausgewogenen veganen, vor allem rohköstlichen Ernährung durchaus auftreten. Insbesondere vegane Rohköstler haben oft einen Mangel an Vitamin B12 oder an Proteinen. Doch viele Sojamilch-Produkte sind mit Vitamin B12 angereichert und die notwendigen Proteine lassen sich z.B. durch Hanfproteinpulver ersetzen. Und dass man mit veganer Ernährung auch international sportliche Höchstleistungen erzielen kann zeigt das Beispiel des ehemaligen kanadischen Ironman-Triathleten Brendan Brazier. Zum Thema (vegane) Rohkost empfehle ich das Buch “Das große Rohkost-Buch” von Angelika Fischer. Darin werden auch insbesondere ernährungsphysiologische Aspekte für eine ausgewogene (vegane) rohköstliche Ernährung ohne Mangelerscheinungen berücksichtigt. Für diese Form der Ernährung benötigt man leider allerdings einen eigenen Garten, fernab einer vom Autoverkehr bedingten luftverschmutzten Großstadt.
Schönes Interview. Ich bin froh, dass Jens sagt, dass die Umstellung auf vegane Ernährung Zeit braucht und man sich diese auch lassen soll. Ich hab selber festgestellt, dass der Wechsel nicht so ganz problemlos und ohne Tücken läuft, deshalb lieber ein bisschen mehr Zeit nehmen als schnell frustriert aufzugeben.
Hallo Kai!
Es benötigt in der Tat einiges an Zeit, die es sich aber lohnt zu investieren, sich von jahrzehntelangen manifestierten Ernährungsgewohnheiten endgültig zu verabschieden. Ich gebe gerne zu, dass ich Fleisch wie auch Käse sehr gerne gegessen habe und bin erstaunt darüber, dass ich bis heute kein Verlangen danach verspüre. Es freut mich aber auch zu sehen, dass sich mittlerweile auch ein paar Kollegen für die vegane Lebensweise zu interessieren begonnen haben. Einer hat eine fleischlose Woche eingelegt, ein anderer möchte mit seiner Familie während der Fastenzeit gänzlich auf Fleisch verzichten, war deshalb auch schon in Leipziger Mini-Markt “Vegan leben”, hat sich im Internet nach veganen Rezepten umgeschaut, weshalb ich ihm gestern zwei meiner veganen Kochbücher ausgeliehen habe. … Think global, act local! 🙂 Es wäre schon viel damit getan, wenn sich der ein oder andere zeitweise bewusster, ohne tierische Produkte ernähren würde. … Der sogenannte Kolonnen-Effekt. Wenn einer bei Rot über die Ampel geht, folgen ihm die anderen. Und wenn sich einer aus der Freundes-/Bekannten-/Kollegenkreis vegan ernährt, vegan lebt …. wer weiß … 🙂